Eine Woche nach den Klettertouren im Antlitz des Mont Blancs führt die zweite Sektionstour dieses Sommers in die Ötztaler Alpen. Wie so oft beginnt die Tour erst mal ganz profan mit der Suche nach einer Parkplatzlücke in Vent im hinteren Ötztal. Im Gegensatz zum benachbarten Talschluss in Obergurgl hat sich das Bersteigerdorf Vent seinen alten Charme weitgehend bewahrt und lebt einen naturverträglichen Tourismus. Auch hier gibt es ein paar wenige Lifte für die Wintersaison, sie sind aber klein und beherrschen nicht das Landschaftsbild. Stolz scheint man auf den als solchen ausgeschilderten Doppelsessellift zu sein, der sich dann als schlichter Zweisitzer am Dorfrand präsentiert. Umrahmt wird das Dorf von der großen Ötztaler Gletscherwelt mit ihrem Netz an Hütten und den vielen Tourenmöglichkeiten, die auch zu den Karlsruher Hütten hinüber reichen.
Der Hüttenweg zum Hochjochhospiz leitet durch den Talgrund zu den Rofenhöfen, die zu den höchst gelegenen ganzjährig bewohnten Siedlungen der Alpen zählen. Von dort geht es entlang blühender Hänge mit Orchideen wie dem Schwarzen Kohlröschen oberhalb der tiefen Rofenschlucht in Richtung der Hütte. Am Vernagtbach ist eine ziemlich lange, gerade mal gut schulterbreite Holzbrücke zu überqueren, die einem Hinweisschild zufolge sanierungsbedürftig ist und deshalb immer nur von einer Person begangen werden darf. Mit unserer 12-köpfigen Gruppe dauert das eine ganze Weile. Nicht viel später taucht dann aber auch schon die Hütte auf, wo wir vom Hüttenwirt begrüßt werden. Nach dem leckeren Abendessen besprechen wir noch den Ablauf der Tour und starten einen kleinen Abendspaziergang.
Der nächste Morgen präsentiert sich nicht wie angekündigt sonnig, sondern bedeckt und leicht windig. Das Wetter hat ganz offensichtlich mal wieder nicht den Wetterbericht gelesen. Auf dem Deloretteweg über die schuttbedeckten Flanken in Richtung des Gletschers wird der Wind stärker, auf dem Kesselwandferner zieht auch nieseliger Nebel auf. Grund genug, dem altehrwürdigen Brandenburger Haus (3274m) einen kurzen Besuch abzustatten, um uns aufzuwärmen und die klamme Kleidung etwas zu trocknen vor dem Weiterweg zum Fluchtkogel. In spektakulärer Lage von Gletschern umgeben gelegen, ist es die höchstgelegene DAV-Hütte. Viele, die hier übernachten, lassen sich den berühmten Sonnenaufgang auf der oberhalb der Hütte gelegenen Dahmannspitze und die umfassende Rundsicht von dort nicht entgehen. Unsere Sicht reicht erstmal nur auf warme Suppe und Kaffee, was aber in diesem Moment vollkommen zufrieden stellt. Aufgewärmt und frisch gestärkt geht es über die nassen Felsen wieder auf den Gletscher hinab und ohne nennenswerte Sicht, aber auf deutlicher Spur in Richtung des Oberen Guslarjochs. Von dort ist es nicht mehr weit über eine harmlose Schneeflanke zum Gipfel des Fluchtkogels. Eine Gruppe spurtet übermütig voraus und legt eine neue, steile Spur an. Na gut, lassen wir sie mal laufen. Karin und der Rest trotten derweil in aller Ruhe auf der vorhandenen flachen Spur zum Gipfel auf knapp 3500m Höhe, wo wir überraschenderweise als erste am Gipfelkreuz ankommen. Kurz danach kommt auch die zweite Gruppe etwas kleinlaut an. Sie hatte die erste Verflachung am runden Grat für den Gipfel gehalten und sich etwas zu früh gefreut. Was lernen wir daraus: 1. Der Gipfel ist meist da, wo es nicht mehr höher geht. 2. Es schadet nicht, im Nebel eine vorhandene sichere Spur zu nehmen. 3. Im Nebel bleibt die Gruppe besser zusammen. Um diese für Einsteiger wichtige und hier schmerzfrei gewonnene Bergerfahrung reicher freuen wir uns zusammen über den Gipfelerfolg, glücklicherweise wirken Gipfel auch ohne Sicht.
Der Guslarferner unterhalb des Guslarjochs ist etwas steiler und spaltenreicher als der Kesselwandferner, hier kann man gut das Überqueren von Spalten und das Seilschaftshandling dabei üben. Am Gletscherende klart die Sicht auf und wir können noch eine Spaltenbergungsübung mit loser Rolle einlegen. Die Vernagthütte ist deutlich größer, aber auch hier werden wir freundlich bewirtet. Trotz langanhaltender Klopfgeräusche gelingt es dem Küchenteam allerdings nicht ganz, die Rinderschnitzel bis zum Abendessen weich zu bekommen. Die leckeren Käseknödel wären in diesem Fall vielleicht die bessere Wahl gewesen.
Am Sonntag bekommen wir schon um 5 Uhr Frühstück, dadurch können wir früh den Gletscheranstieg zur Hochvernagtspitze (3535m) angehen. Der Pfad auf der ehemaligen Moräne beginnt knapp oberhalb der Hütte. Der Vernagtferner wurde schon im Mittelalter sorgsam beobachtet, damals reichte er noch bis in die Rofenschlucht hinab und staute dort immer wieder bedrohliche Wassermassen auf. Heute hat er sich weit zurückgezogen und beginnt deutlich oberhalb der Hütte. Trotz herrlichem Wetter sind wir fast alleine unterwegs und müssen uns den Weg auf dem weitläufigen unteren Teil des Gletschers selbst suchen. Meist trägt der Firn gut, manchmal sinkt man aber auch unversehens ziemlich tief ein. Oberhalb eines felsdurchzogenen Vorbaus wird der Gletscher etwas steiler, bis man ein Plateau überquert und zum fast horizontalen Gipfelgrat hochsteigt. In der Sonne genießen wir die tolle Rundsicht vom Gipfel aus. Der Abstieg hinab zur Hütte geht dann flüssig. Wir treffen hier noch einen Sologänger aus unserer Partnerstadt Nancy, mit dem wir bei einer Pause Leckereien austauschen.
Am frühen Nachmittag sind wir dann wieder in Vent. Ein schönes Tourenwochenende geht zu Ende. Für manche Einsteiger, so auch meine Frau Corinna, war es die erste echte Hochtour und entsprechend anstrengend. Für geübte Hochtourengänger wie Achim oder Erika, die 100km lange Ultramarathons läuft, war es einfach eine Bergtour zum Genießen. Danke auch an Sebastian Wankmüller, der als kurzfristig eingesprungener Assistent eine Seilschaft übernommen hat und mich bei allem bestens unterstützt hat.